Der Bundesgerichtsentscheid zu Bestandespflegekommissionen als herausgabepflichtige Retrozessionen (BGE 4A_127/2012 und 4A_141/2012 vom 30. Oktober 2012) geht weiter als erwartet, lässt aber Fragen offen.

Retrozessionen von Konzerngesellschaften und Bestandespflegekommissionen konzerneigener Fonds werden nun Vermögensvorteilen von „Dritten“ gleichgesetzt.

Die FINMA hat die Banken am 26. November 2012 aufgefordert, ihre Vermögensverwaltungskunden über den Bundesgerichtsentscheid und dessen Konsequenzen zu informieren.

Hinzu kommen ab 2013 die neuen Offenlegungs-pflichten durch die Teilrevision des Kollektivanlagengesetzes (KAG).

Sachverhalt

Die UBS AG verwaltete unter einem Vermögensverwaltungsmandat das Depot eines Kunden. Sie erwarb für den Kunden Anlagefonds und strukturierte Produkte, teilweise UBS-fremde, grossenteils aber Fonds und strukturierte Produkte von UBS-Konzerngesellschaften. Die UBS erhielt dabei zusätzlich als Vertriebsträgerin auf allen Produkten Vertriebsentschädigungen. Namentlich erhielt sie von den Fondsleitungsgesellschaften Bestandespflegekommissionen, die aus den Management Fees der Fondsleitungsgesellschaften ausgerichtet wurden. Die Bemessung erfolgte nach dem Gesamtbestand aller bei der UBS deponierten Produkte. Der Kunde forderte diese Bestandespflegekommissionen als herausgabepflichtige Retrozessionen von der UBS zurück, weil er über deren Höhe nicht genügend informiert worden sei und er deshalb nicht rechtsgültig auf die Herausgabe solcher Retrozessionen im Vertrag mit der UBS verzichtet habe. Die UBS stellte sich auf den Standpunkt, (a) Bestandespflegekommissionen seien das Entgelt für Vertriebs-dienstleistungen und (b) Zahlungen von UBS-Fonds und von UBS-Konzerngesellschaften seien nicht Vorteile „Dritter“. Das Obergericht des Kantons Zürich hatte die Herausgabepflicht der UBS mit Urteil vom 13. Januar 2012 bejaht, aber nur für Bestandespflegekommissionen, die von UBS-fremden Fonds und UBS-fremden strukturierten Produkten bezahlt worden waren. Das Bundesgericht bejaht nun die Herausgabepflicht von Bestandespflegekommis-sionen sowohl von UBS-fremden wie auch von UBS-eigenen Produkten.

Feststellungen des Bundesgerichts

Erhält ein Vermögensverwalter – sei es eine Bank oder ein unabhängiger Vermögensverwalter – unter einem Vermögens-verwaltungsvertrag Bestandespflegekommissionen, gelten diese als Retrozessionen.

Diese sind an den Kunden herauszugeben (Art. 400 Abs. 1 OR), wenn der Kunde vom Vermögensverwalter nicht über deren Höhe informiert wurde und wenn der Kunde nicht in Kenntnis dieser Höhe auf deren Ablieferung vertraglich verzichtet hatte. Damit ein solcher Verzicht des Kunden rechtsgültig ist, müssen die Eckwerte der Rückvergütungen und muss die Höhe der zu erwartenden Rückvergütungen zumindest in einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens angegeben werden (BGE 137 III 393; vgl. den Alert von Blum&Grob vom Dezember 2011). Unter dieser Voraussetzung verzichtet der Kunde gültig auf die Ablieferung von Bestandespflegekommissionen.

Die Herausgabepflicht von Bestandespflegekommissionen wird vom Bundesgericht im vorliegenden Fall nur bei Vermögensverwaltungsverträgen festgestellt. Aber wie steht es bei anderen Vertragsverhältnissen?

Vermeidung von Interessenkonflikten

Im Fokus stehen Situationen, in denen die Bank in einem doppelten Vertragsverhältnis stehen – hier der Vermögens-verwaltungsvertrag – dort die Vertriebsträgervereinbarung (oder die zusätzliche Kommissions- oder Brokervereinbarung etc.). Ob „Vorteile“ aus solchen Zweitvereinbarungen (wie etwa Bestandespflegekommissionen) – unter dem Hauptauftragsverhältnis herausgabepflichtig sind, entscheidet sich Ansicht des Bundesgerichts nach folgenden Aspekten: Nicht entscheidend ist, ob das Entgelt nach dem Willen des Zahlenden (z.B. des Fonds) ausschliesslich der Bank zustehen soll. Entscheidend ist, dass der Beauftragte durch den Auftrag (abgesehen vom vereinbarten Honorar) weder gewinnen noch verlieren soll und dass der Vorteil aus einer Drittzuwendung nicht zu einem Interessenkonflikt führen darf.

Das Bundesgericht bejaht einen „inneren Zusammenhang“ und damit eine Herausgabepflicht schon dann, wenn die Gefahr eines Interessenkonflikts besteht. Es bleibt aber unklar, ob eine Herausgabepflicht auch dann besteht, wenn der
Beauftragte zwar mehr gewinnt als mit dem Honorar
vereinbart, aber der Zusatzgewinn zu keinem Interessenkonflikt führt. Das Gericht lässt damit offen, ob Bestandespflegekommissionen ausserhalb von Vermögensverwaltungsmandaten – bspw. bei „execution only“-Verhältnissen – ebenfalls herausgabepflichtig sind.

Bestandespflegekommissionen sind damit sicher dort herausgabepflichtig, wo sie zu einem Interessenkonflikt führen können. Ausser in Vermögensverwaltungsverträgen dürften sie damit auch bei Anlageberatungsverträgen herausgabepflichtig sein. Ob das “Zusatzgewinnverbot“ bei reinen „execution only“-Verhältnissen für eine Herausgabepflicht ausreicht, ist für einen nächsten Bundesgerichtsentscheid vorbehalten.

Konzerninterne Vergütungen und Entschädigung für Vertriebsaufwand

Brisant ist die Feststellung des Bundesgerichts, dass konzerninterne Bestandespflegekommissionen mit Vergütungen von „Dritten“ gleichgesetzt werden und ebenfalls an den Kunden herauszugeben sind.

Bemerkenswert ist aber auch, dass es gemäss Bundesgericht irrelevant ist, ob die Bank als Vertriebsträgerin Aufwand hat und ob die Vertriebsentschädigung marktkonform ist. In Verbindung mit einem Vermögensverwaltungsvertrag ist sie in jedem Fall an den Kunden herauszugeben, und den Vertriebsaufwand müsste die Bank als auftragsrechtlichen Auslagenersatz (Art. 402 Abs. 1 OR) dem Kunden in
Rechnung stellen (und könnte diesen dann wohl mit der herauszugebenden Bestandespflegekommission verrechnen).

Schliesslich stellt das Bundesgericht klar, dass weder das KAG noch Richtlinien der Swiss Fund Association etwas an der auftragsrechtlichen Herausgabepflicht zu ändern vermöchten.

Konsequenzen

  • Bestandespflegekommissionen auf Anlagefonds und strukturierten Produkten sind mindestens in Vermögensverwaltungsverhältnissen herausgabepflichtige Retrozessionen.
  • Namentlich Pensionskassen haben ihre Verträge mit Banken und unabhängigen Vermögensverwaltern zu prüfen und zu überarbeiten. Wegen der BVG-Strukturreform hat dies vor dem 31. Dezember 2012 zu erfolgen. Loyalitätserklärungen und Herausgabebegehren sind unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung auf 10 Jahre zurück zu wiederholen, da frühere Erklärungen Bestandespflegekommissionen in der Regel nicht einschlossen.

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