Das Zürcher Obergericht hat entschieden, dass Vermögensverwalter Bestandespflegekommissionen, welche ihnen von Fondsanbietern als Vertriebsentschädigungen entrichtet werden, unter bestimmten Umständen an ihre Vermögensverwaltungskunden, für welche die Produkte erworben wurden, herausgegeben müssen.

1. Sachverhalt

In seinem Entscheid vom 13. Januar 2012 präsentierte sich dem Zürcher Obergericht der folgende Sachverhalt: Gestützt auf einen schriftlichen Vertrag übertrug ein Kunde seiner Bank die diskretionäre Verwaltung seines Wertschriftendepots. Nachdem der Kunde im Sommer 2006 verstorben war, wurden die Depotwerte auf die bei derselben Bank geführten Depots seiner Ehefrau und seiner Kinder übertragen. Die Verwaltung dieser Werte oblag weiterhin der Bank. Im Jahr 2008 erhob der Sohn gegen die Bank Klage beim Bezirksgericht Zürich. Darin verlangte er unter anderem die Herausgabe von Entschädigungen, welche die Bank von Fondsanbietern für den Vertrieb von Kollektivanlagen erhalten hatte. Nachdem das Bezirksgericht die Klage abgewiesen hatte, führte der Kläger Berufung beim Zürcher Obergericht. Das Obergericht hiess die Berufung im Wesentlichen gut. Die beklagte Bank hat das Urteil zwischenzeitlich an das Bundesgericht weitergezogen.

Im Kern dreht sich die gerichtliche Auseinandersetzung um die Frage, ob Entschädigungen, welche Anbieter von Anlagefonds und strukturierten Produkten einem Vermögensverwalter für den Vertrieb dieser Produkte bezahlen, als Retrozessionen zu qualifizieren sind, welche der Vermögensverwalter dem Kunden gestützt auf Auftragsrecht herausgeben müsse. Konkret ging es um sogenannte Bestandespflegekommissionen, welche der Produktanbieter einer Bank als Vertriebsträgerin bezahlt und die aus den Verwaltungskommissionen, welche dem Fondsvermögen und damit indirekt dem Kunden belastet werden, finanziert werden. Die Höhe der Bestandespflegekommission bestimmte sich vorliegend nach dem vertriebsvertraglichen Entschädigungssatz multipliziert mit dem Wert aller an einem bestimmten Stichtag in den Depots der Bank lagernden und unter die Vertriebsvereinbarung fallenden Fondsprodukte des betreffenden Anbieters. Die der Bank entrichtete Kommission war somit „volumenabhängig“.

2. Entscheid

Unter Berufung auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (v.a. BGE 132 III 460) hielt das Obergericht zunächst fest, dass Bestandespflegekommissionen ihrem Grundsatz nach Retrozessionen sind, welche die Vertriebsträgerin (vorliegend also die beklagte Bank) an ihren Vermögensverwaltungskunden weiterleiten müsse, sofern zwischen den Bestandespflegekommissionen, die der Produktanbieter der Bank bezahle, und dem Vermögensverwaltungsmandat des Kunden an die Bank ein innerer Zusammenhangbestehe.

Dieser innere Zusammenhang wurde von der beklagten Bank bestritten. Sie führte aus, dass es sich bei den vom Fondsanbieter (bzw. Emittenten des strukturierten Produkts) entrichteten Entschädigungen um Honorare für “gestützt auf Vertriebsverträge mit der Fondsleitung geschuldete und somit eigenständige, genuine Leistungen der Bank beim Vertrieb von Finanzprodukten” handle. Dabei sei es unerheblich, dass die der Bank bezahlte Vertriebsentschädigung volumenabhängig sei, d.h. ihr die Vergütung nach Prozenten der für den Kläger gehaltenen Anlagesumme entrichtet werde. Die Art und Weise, wie die Bestandespflegekommission berechnet werde bzw. deren Höhe, sei unwesentlich und es komme einzig darauf an, aus welchem Grund sie die Entschädigung von Dritten (Fondsanbieter/Emittent strukturierter Produkte) erhalten habe. Bei eigenwirtschaftlichen bzw. genuinen Dienstleistungen zu Gunsten des Fondsanbieters seien die von diesem bezahlten Kommissionen “bei Gelegenheit der Ausführung des Vermögensverwaltungsvertrags” erlangt worden, stünden in keinem inneren Zusammenhang mit dem Vermögensverwaltungsvertrag mit dem Kunden und unterlägen daher nicht der Herausgabepflicht.

Bei der Beurteilung des inneren Zusammenhangs stellt sich gemäss Auffassung des Obergerichts die Frage, ob die Bestandespflegekommission eine Belohnung für die Produktplatzierung / Platzierungsmacht des Vertriebsträgers darstelle oder ob sie als Entschädigung für effektiv erbrachte, nicht konfliktträchtige Vertriebsleistungen qualifiziert werden könne. Im vorliegenden Fall richtete sich die Vertriebsentschädigung nach dem von der Bank platzierten Volumen. Da die Anzahl der Vermögensverwaltungskunden, für welche die Bank die Produkte erworben hat, die Höhe der Vertriebsentschädigung bestimmt, liegt gemäss Obergericht der entscheidende innere Zusammenhang zwischen der Bestandespflegekommission und dem Vermögensverwaltungsmandat vor; es handle sich um eine „Zusatzvergütung“ der Bank unter dem Vermögensverwaltungsvertrag. Als solche sei sie aufgrund des Bereicherungsverbots des Beauftragten (also der Bank), welcher aus dem ihm erteilten Auftrag – abgesehen vom vereinbarten Honorar – nichts gewinnen dürfe, an den Auftraggeber herauszugeben.

Das Obergericht hielt fest, dass ein Vertriebsträger vom Produktanbieter eine adäquate Entschädigung für effektiv erbrachte Vertriebsdienstleistungen beanspruchen dürfe. Eine solche Entschädigung müsse nicht an den Vermögensverwaltungskunden herausgegeben werden. Da aber die Volumenabhängigkeit der Entschädigung den inneren Zusammenhang zum Vermögensverwaltungsvertrag indiziere, habe die Bank konkrete Angaben dazu zu machen, was sie für den Vertrieb der Fonds im Einzelnen aufgewendet habe. Nachdem sie dies unterlassen habe, bleibe “prozessual keine andere Wahl, als die auf die Depots des Klägers und seiner Familie entfallenden Kommissionen als reine Retrozessionen zu behandeln, auch wenn sie es möglicherweise (oder glaubhafterweise) so nicht sind.

Da der Vermögensverwaltungskunde nicht gültig auf die Herausgabe der Bestandespflegekommissionen verzichtet habe, sich betreffend die Herausgabepflicht weder aus dem Recht über die kollektiven Kapitalanlagen noch aus dem Aufsichtsrecht etwas anderes ergebe, und auch die Verjährung noch nicht eingetreten sei, wurde der Herausgabeanspruch des Klägers dem Grundsatz nach geschützt. Dieser bezieht sich nicht bloss auf Bestandespflegekommissionen aus dem Fondsvertrieb, sondern auch auf Entschädigungen, welche die Bank für die Platzierung von strukturierten Produkten erhielt.

Das Obergericht hielt weiter fest, dass die Herausgabepflicht nur für Produkte besteht, die nicht von der beklagten Bank bzw. von entsprechenden Konzerngesellschaften herausgegeben wurden. Konzerninterne Zahlungen von Tochtergesellschaften seien nicht Zuwendungen Dritter und unterlägen daher nicht Art. 400 OR. Es sei eine wirtschaftliche Sichtweise des Bankkonzerns angezeigt.

3. Kurzbeurteilung

Die Frage, ob und in welchem Umfang Bestandespflegekommissionen im Fondsvertrieb herausgabepflichtige Retrozessionen darstellen, wurde vom Bundesgericht bereits vorfrageweise entschieden. Mit Entscheid vom 13. Januar 2011 hielt die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts im Zusammenhang mit der Beurteilung des Tatbestandes der ungetreuen Geschäftsbesorgung fest, dass Vertriebsentschädigungen keinen inneren Zusammenhang mit dem Vermögensverwaltungsvertrag aufweisen würden und daher nicht der Herausgabepflicht unterliegen. Schon damals wurde allerdings eingewendet, dass es dem Urteil aufgrund der äusserst knappen Begründung und der fehlenden vertieften Auseinandersetzung mit der Lehre an der notwendigen Autorität mangeln würde. Dieser Einwand scheint sich nun zu bestätigen. Das Obergericht des Kantons Zürich erwähnt zwar den Bundesgerichtsentscheid, setzt sich darüber aber ohne weiteres hinweg.

Nachdem das Urteil des Obergerichts an das Bundesgericht weitergezogen wurde, kann man auf die erneuten Erwägungen der (zivilrechtlichen Abteilung) des höchsten Gerichts gespannt sein. Unter praktischen Gesichtspunkten dürfte vor allem interessieren, ob das Bundesgericht der Auffassung des Obergerichts folgt, wonach an Vermögensverwalter bezahlte volumenabhängige Bestandespflegekommissionen den inneren Zusammenhang zum Vermögensverwaltungsvertrag indizieren und sich ein Vermögensverwalter / Vertriebsträger der Herausgabepflicht bloss entziehen kann, wenn er seine genuinen Vertriebsleistungen und den damit verbundenen Aufwand offenlegt und für den „volumenabhängigen“ Teil der Bestandespflegekommission einen expliziten Verzicht des Kunden einholt.

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