Am 27. Juni 2014 hat der Bundesrat die Vernehmlassungsvorlagen zu zwei neuen, miteinander verbundenen Finanzmarktgesetzen, dem Finanzdienstleistungsgesetz („FIDLEG“) und dem Finanzinstitutsgesetz („FINIG“), veröffentlicht. Interessierte Kreise haben bis zum 17. Oktober 2014 Gelegenheit, zu den Entwürfen Stellung zu nehmen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen eine erste Übersicht über die beiden Vorlagen geben.

1. Einleitung

Bereits im Oktober 2010 kam die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA vor dem Hintergrund der seit 2008 schwelenden Finanzkrise zum Schluss, dass das Schweizer Finanzmarktrecht keinen angemessenen Kundenschutz gewährleisten würde. Im Positionspapier Vertriebsregeln hat die FINMA im Februar 2012 Massnahmen zur Verbesserung des Kundenschutzes vorgeschlagen. Die Aufsichtsbehörde verlangte vereinheitlichte Regeln für die Dokumentation von Finanzprodukten, erhöhte Verhaltens- und Organisationsregeln für Finanzdienstleister, eine Ausdehnung der Aufsicht auf alle Vermögensverwalter sowie Regeln zur Vereinfachung der Rechtsdurchsetzung von Kundenansprüchen. Der Bundesrat beauftragte daraufhin eine Steuerungsgruppe, die Stossrichtungen für ein diese Postulate berücksichtigendes Regulierungsvorhaben in einem Bericht festzuhalten, zu dem im März 2013 eine Art Minivernehmlassung durchgeführt wurde („Hearingbericht“). Die nun vom Bundesrat veröffentlichten Vernehmlassungsvorlagen nehmen die bereits im Positionspapier der FINMA formulierten Forderungen zum grössten Teil auf. Gemeinsam mit den Gesetzesentwürfen hat der Bundesrat Berichte zur Vernehmlassungsvorlage („Erläuterungsbericht“), zur Regulierungsfolgeabschätzung und zu den Regulierungskosten veröffentlicht.

2. FIDLEG

Das FIDLEG bezweckt gemäss dessen Art. 1 den „Schutz der Kundinnen und Kunden von Finanzdienstleistern sowie die Schaffung vergleichbarer Bedingungen für das Erbringen von Finanzdienstleistungen durch Finanzdienstleister.“ Das Gesetz ist sektorenübergreifend konzipiert und soll dem Grundsatz von „same business, same rules“ im Finanzmarktrecht zum Durchbruch verhelfen. Im Kundenkontakt einzuhaltende Verhaltens- und Organisationspflichten sollen für alle Personen, die gewerbsmässig Finanzdienstleistungen anbieten, gleichermassen gelten, unabhängig davon ob sie bspw. als Bank, Effektenhändler, Vermögensverwalter von Kollektivanlagen oder als unabhängige Vermögensverwalter aktiv sind.

Die Einhaltung der Vorschriften soll für jene Finanzdienstleister, die gemäss FINIG prudentiell beaufsichtigt werden, durch den Regulator sichergestellt werden. Dabei handelt es sich um die FINMA, wobei für die bisher nicht beaufsichtigten Vermögensverwalter als Aufsichtsbehörde auch eine neu zu schaffende „Aufsichtsorganisation“ mit Selbstregulierungscharakter in Frage kommt; Art. 82 ff. der FINIG-Vernehmlassungsvorlage („VV-FINIG“) lässt dies noch offen. Für nicht beaufsichtigte Finanzdienstleister (bspw. reine Anlageberater) geht der Bundesrat davon aus, dass die Gerichte die Verhaltens- und Organisationspflichten des FIDLEG zum zivilrechtlichen Standard erklären werden (Erläuterungsbericht, S. 15), analog bspw. den Vermögensverwaltungsrichtlinien der Schweizerischen Bankiervereinigung, welche auch von Nicht-Banken befolgt werden müssen. Sodann sollen Verstösse gegen die Verhaltenspflichten auch gegenüber nicht gemäss FINIG beaufsichtigten Finanzdienstleistern strafrechtlich sanktioniert werden können (Erläuterungsbericht, S. 15).

Die wichtigsten Regelungsbereiche der FIDLEG-Vernehmlassungsvorlage („VV-FIDLEG“) sind die folgenden:

  • Definition von Finanzdienstleistungen (Art. 3 (d) VV-FIDLEG): Der Begriff umfasst alle Tätigkeiten, die zum Erwerb eines Finanzinstruments durch Kunden führen können, die Vermittlung von Geschäften mit Finanzinstrumenten, die Vermögensverwaltung und Anlageberatung, das Führen von Kundenkonten sowie das Verwahren von Vermögenswerten für Rechnung von Kunden. Kreditgeschäfte sind nur dann Finanzdienstleistungen, wenn die Kreditaufnahme der Durchführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten dient (vgl. Erläuterungsbericht, S. 38).
  •  Definition von Finanzdienstleistern (Art. 3 (e) VV-FIDLEG): Finanzdienstleister sind alle Personen, die „gewerbsmässig Finanzdienstleistungen in der Schweiz oder für Kundinnen und Kunden in der Schweiz erbringen“.
  •  Kundensegmentierung (Art. 4 f. VV-FIDLEG): Die Vernehmlassungsvorlage schlägt eine Unterteilung in institutionelle Kunden, professionelle Kunden, vermögende Privatkunden und übrige Privatkunden vor. Die Qualifikation hat insbesondere unterschiedliche Informations- und Aufklärungspflichten seitens des Finanzdienstleisters zur Folge. Institutionelle Kunden, professionelle Kunden und vermögende Privatkunden können sich „downgraden“ lassen, also erklären, dass sie einen erhöhten Kundenschutz geniessen wollen („Opting-in“). Umgekehrt können vermögende Privatkunden erklären, dass sie als professionelle Kunden gelten wollen („Opting-out“). Die Definition des vermögenden Privatkunden wird dem Bundesrat als Verordnungsgeber überlassen. Diese Kundensegmentierung geht über die verfeinerte Segmentierung, welche mit der Revision des Kollektivanlagengesetzes im März 2013 eingeführt wurde, hinaus und orientiert sich an europäischen Standards (MiFID II).
  • Informationspflichten von Finanzdienstleistern (Art. 7 ff. VV-FIDLEG): Diese sind vielfältig und beziehen sich auf den Finanzdienstleister selber (Name, Adresse, Aufsichtsstatus, von ihm angebotene Dienstleistungen, wirtschaftliche Bindungen an Dritte), die angebotenen Finanzinstrumente (Art, Risiken), die Kosten der Finanzdienstleistung sowie die Möglichkeit von Streitbeilegungsverfahren vor einer Ombudsstelle. Unter in der Vorlage näher definierten Umständen müssen den Kunden auch Prospekte oder das neu einzuführende „Basisinformationsblatt“ abgegeben werden.
  • Unabhängigkeit / Retrozessionen: Als unabhängig soll ein Finanzdienstleister seine Dienstleistung nur bezeichnen können, wenn er eine „ausreichende Zahl auf dem Markt angebotener Finanzinstrumente“ berücksichtigt und von Dritten im Zusammenhang mit der Dienstleistungserbringung keine Vorteile entgegennimmt oder diese an den Kunden weitergibt. Der Empfang und die Einbehaltung von Retrozessionen sind somit – gültiger Kundenverzicht auf Ablieferung vorausgesetzt – weiterhin zulässig, haben aber einen negativen Einfluss auf die Etikettierung der Dienstleistung.
  • Eignungs- und Angemessenheitsprüfung (Art. 10 ff. VV-FIDLEG):

 

    • Vermögensverwalter und Anlageberater sollen bei ihrenPrivatkunden sowohl eine Angemessenheits- als auch eine Eignungsprüfung durchführen, sich also über deren finanzielle Verhältnisse und Anlageziele ins Bild setzen (Eignungsprüfung) und sich über deren Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf die angebotenen Finanzinstrumente und –dienstleistungen erkundigen (Angemessenheitsprüfung).
    • Ausserhalb der Vermögensverwaltung oder Anlageberatung ist bloss eine Angemessenheitsprüfung notwendig, d.h. der Finanzdienstleister prüft aufgrund der von ihm erhobenen Informationen über Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden, ob dieser die entsprechenden Risiken einschätzen kann und das Produkt oder die Dienstleistung für ihn angemessen sind.
    • Bei professionellen Kunden darf man ohne gegenteilige Anhaltspunkte davon ausgehen, dass diese einerseits genügende Kenntnisse und Erfahrungen zur Beurteilung der Dienstleistung oder eines Produkts haben und andererseits die mit der Dienstleistung einhergehenden Anlagerisiken für sie finanziell tragbar (also geeignet) sind. Zu den professionellen Kunden gehören auch vermögende Privatkunden, die ein Opting-out erklärt haben (vgl. oben). Beiinstitutionellen Kunden sind weder eine Angemessenheits- noch eine Eignungsprüfung nötig.
    • Bei fehlender Angemessenheit besteht eine Warnpflicht des Finanzdienstleisters, d.h. er weist den Kunden darauf hin, dass das Produkt oder die Dienstleistung (bspw. komplexe Options- oder FX-Tradingstrategien / strukturierte Produkte) für diesen zu anspruchsvoll ist. Schlägt der Kunde die zu dokumentierende Warnung in den Wind, kann die Dienstleistung dennoch erbracht oder das Produkt verkauft werden. Gleiches gilt grundsätzlich, wenn der Finanzdienstleister die Angemessenheitsprüfung mangels Informationen des Kunden nicht vornehmen kann. Anderes soll gemäss Art. 13 VV-FIDLEG in Kombination mit dem Erläuterungsbericht (S. 47) in der Vermögensverwaltung und Anlageberatung gelten: Hier soll die Dienstleistung gar nicht erbracht werden dürfen, wenn der Finanzdienstleister nicht genügend Informationen besitzt, um die Angemessenheits- und Eignungsprüfungen durchzuführen oder wenn sich eine Dienstleistung / ein Produkt als nicht angemessen oder geeignet erweist. Die Vorlage ist hier (wie auch generell betr. die Terminologie „Angemessenheit“ / „Eignung“) aber nicht ausreichend klar und wird im vom Bundesrat nach durchgeführter Vernehmlassung zu erarbeitenden Gesetzesentwurf zu überarbeiten sein.
    • Keine Angemessenheits- und Eignungsprüfungen müssen vorgenommen werden, wenn ein Finanzdienstleister lediglich mit der Ausführung eines bestimmten Geschäfts beauftragt wird oder wenn er bloss einen Kundenauftrag an andere Finanzdienstleister weiterleitet.

 

  • Dokumentation und Rechenschaft (Art. 15 f. VV-FIDLEG): Finanzdienstleister sollen künftig insbesondere die mit den Kunden vereinbarten Leistungen und die über sie erhobenen Informationen sowie Warnungen schriftlich festhalten müssen. Vermögensverwalter und Anlageberater sollen weiter die Kundenbedürfnisse und die Gründe für jede Empfehlung betr. Veräusserung und Erwerb eines Finanzinstruments (und wohl auch für die Empfehlung einer Anlagestrategie) dokumentieren. Diese Dokumentation ist den Kunden (Ausnahme: Institutionelle) zu übergeben. Über die erbrachten Dienstleistungen muss der Finanzdienstleister sodann Rechenschaft ablegen.
  • Transparenz und Sorgfalt bei Kundenaufträgen (Art. 17 ff. VV-FIDLEG): Die Vorlage enthält verschiedene Grundsätze betr. Gleichbehandlung von Kunden bei der Bearbeitung von Aufträgen, Best Execution und Securities Lending.
  • Organisation (Art. 21 ff. VV-FIDLEG): Finanzdienstleister sollen über eine „angemessene Betriebsorganisation“ verfügen und sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter über die notwendigen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Die Vorlage enthält sodann Grundsätze, die sicherstellen sollen, dass die Verhaltenspflichten auch bei Einbezug Dritter in die Dienstleistungserbringung eingehalten werden.
  • Interessenkonflikte (Art. 25 ff. VV-FIDLEG): Interessenkonflikte, die nicht ausgeschlossen werden können, sollen dem Kunden offen gelegt werden. Der Bundesrat soll ermächtigt werden, generell verbotene Interessenkonflikte zu identifizieren. Retrozessionen müssen an den Kunden weitergeleitet werden, sofern dieser nicht gültig darauf verzichtet hat. Für einen gültigen Verzicht müssen dem Kunden vorgängig die Bandbreiten und Berechnungsparameter der anfallenden Retrozessionen offengelegt werden. Die Vorlage übernimmt somit die für Retrozessionen geltende Gerichtspraxis. Art. 27 VV-FIDLEG regelt den Umgang mit Mitarbeitergeschäften.
  • Kundenberater (Art. 28 ff. VV-FIDLEG): Kundenberater (schweizerischer oder ausländischer) Finanzdienstleister müssen die Verhaltensregeln des FIDLEG kennen und über das für ihre Tätigkeit notwendige Fachwissen verfügen. Dafür müssen sie sich aus- und weiterbilden, wobei sich die Vorlage darüber ausschweigt, wie dies erfolgen soll. Kundenberater bzw. deren Arbeitgeber müssen sich sodann in einem Kundenberaterregister eintragen lassen, wofür eine Berufshaftpflichtversicherung und ein Anschluss an eine Ombudsstelle (vgl. nachfolgend) nötig sein sollen. Ein Eintrag ist nicht möglich für Kundenberater, welche gegen das FIDLEG in strafbarer Weise verstossen, gewisse Vermögensdelikte des Strafrechts begangen haben oder von der FINMA mit einem Berufsverbot belegt worden sind.
  • Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen in die Schweiz (Art. 34 ff. VV-FIDLEG): Ausländische Finanzdienstleister sollen Finanzdienstleistungen gemäss FIDLEG in der Schweiz nur anbieten können, wenn sie sich in der Schweiz in ein von der FINMA geführtes Register eintragen lassen. Keine Registrierungspflicht besteht für ausländische Finanzdienstleister, die für ihre Tätigkeit in der Schweiz über eine Bewilligung verfügen. Somit wird das reine cross-border Geschäft (mit Ausnahme von Situationen der Reverse Solicitation, vgl. Erläuterungsbericht, S. 58) generell registrierungspflichtig, was eine Abkehr von der bisher liberalen Haltung gegenüber ausländischen Finanzdienstleistern darstellt.
  • Produktespezifische Dokumentationspflichten (Art. 37 ff. VV-FIDLEG): Effekten, d.h. vereinheitlichte zum massenweisen Handel geeignete Wertpapiere, Wertrechte, Derivate und Bucheffekten, sollen in der Schweiz grundsätzlich nur dann öffentlich angeboten werden, wenn dafür ein Prospekt nach den Vorgaben des FIDLEG erstellt und veröffentlicht wird. Die bisherigen Bestimmungen des OR betr. öffentliches Anbieten von Aktien und Obligationsanleihen sollen gestrichen werden. Richtet sich ein Finanzinstrument an Privatinvestoren, muss ein Basisinformationsblatt geschaffen und dem Kunden vor Vertragsschluss kostenlos abgegeben werden. Finanzinstrumente umfassen nicht bloss Effekten, sondern auch bspw. Anteile an Kollektivanlagen und strukturierte Produkte. Kein Basisinformationsblatt ist für Aktien zu erstellen. Beim Basisinformationsblatt soll es sich um eine kurze und leicht verständliche Produktdokumentation handeln, vergleichbar mit dem Key Investor Information Document im Falle von Effektenfonds und übrigen Fonds für traditionelle Anlagen.
  • Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche (Art. 72 ff. VV-FIDLEG): Die Vorlage enthält ein Bündel von Vorschlägen, welche es insbesondere Privatkunden erleichtern sollen, ihre Ansprüche gegen Finanzdienstleister effizienter, d.h. insbesondere kostengünstiger, durchzusetzen. Wir gehen davon aus, dass diese Bestimmungen im weiteren Gesetzgebungsprozess kontrovers diskutiert werden. Zusammengefasst wird folgendes vorgeschlagen:

 

  • Herausgabe von Dokumenten: Kunden sollen vom Finanzdienstleister jederzeit eine Kopie des Kundendossiers verlangen können. Wie das Bundesgericht 2012 festgestellt hat, besteht dieser Anspruch bereits gemäss Art. 8 des Datenschutzgesetzes (BGE 4A_688/2011).

 

  • Beweislastumkehr: Der Finanzdienstleister ist dafür beweispflichtig, dass er seine Verhaltenspflichten eingehalten hat. Kann er diesen Beweis nicht erbringen, wird vermutet, dass der Kunde das Geschäft nicht getätigt hätte, wenn der Finanzdienstleister seinen gesetzlichen Informations- und Aufklärungspflichten nachgekommen wäre. Gelingt es einem Vertriebsträger von Fondsanteilen in Zukunft somit beispielsweise nicht nachzuweisen, er habe für einen Privatkunden eine Angemessenheitsprüfung durchgeführt, wird er dem Kunden bei Kursverlusten haftbar, sofern er nicht darlegen kann, dass der Kunde  die Fondsanteile auch bei durchgeführter Prüfung gekauft hätte – ein sehr ausgeprägter Kundenschutz.

 

  • Ombudsstellen: Gemäss Vorstellung des Bundesrates sollen inskünftig Ombudsstellen, welche bereits aus dem Banken- und Versicherungssektor bekannt sind, zur aussergerichtlichen Streitbeilegung angerufen werden können. Finanzdienstleister müssen sich diesen Stellen anschliessen und sie auch finanzieren. Die Ombudsstelle hat keine Spruchkompetenz, sondern versucht eine Einigung zu erzielen bzw. gibt – wenn keine Einigung erzielt werden kann – ihre Einschätzung der Streitigkeit bekannt. Das Verfahren vor der Ombudsstelle ist grundsätzlich freiwillig und schliesst eine Zivilklage (auch während laufendem Verfahren vor der Ombudsstelle) nicht aus. Während des Verfahrens besteht aber eine Teilnahmepflicht des Finanzdienstleisters. Im Hinblick auf einen dem Streitbeilegungsverfahren allenfalls folgenden Zivilprozess, darf eine Partei in die Korrespondenz zwischen der Ombudsstelle und der anderen Partei keinen Einblick nehmen.

 

  • Prozesskosten: Der Bundesrat ist der Auffassung, das Prozesskostenrisiko stelle für Privatkunden bei der zivilrechtlichen Rechtsdurchsetzung von Ansprüchen gegen Finanzdienstleister „regelmässig eine grosse Schranke“ dar (Erläuterungsbericht, S. 19) und schlägt zur Bewältigung folgende zwei Alternativen vor:

 

  • Die Schaffung eines ständigen Schiedsgerichts, welches unter Vorbehalt bestimmter Rechtsmittel an das Bundesgericht, als einzige Instanz abschliessend entscheiden soll. Das Schiedsgericht kann vom Privatkunden nur angerufen werden, wenn der Streit zuvor der Ombudsstelle vorgelegt worden ist. Das Verfahren soll für den Privatkunden „kostengünstig oder kostenlos“ sein, was eine entsprechende Finanzierung durch die Finanzdienstleister bedingt. Die Vorlage äussert sich nicht dazu, wie die Finanzierung erfolgt. Das Schiedsgericht besteht aus einem unabhängigen Präsidenten und je einem Vertreter der Finanzindustrie und der Kundenseite. Das Schiedsgericht soll alternativ zu den ordentlichen Gerichten angerufen werden können.
    1. Prozesskostenfonds: Dieser soll bei Klagen gegen einen Finanzdienstleister „einen angemessenen Teil“ der Prozesskosten von Privatkunden übernehmen, falls der Kunde am Verfahren vor der Ombudsstelle teilgenommen hat, das Begehren des Privatkunden nicht aussichtslos erscheint, der Streitwert CHF 1 Mio. nicht übersteigt und der Privatkunde nicht über (nicht weiter definierte) „ausserordentlich gute finanzielle Verhältnisse“ verfügt. Der Prozesskostenfonds soll durch die Finanzdienstleister geäufnet werden und im Umfang seiner Leistungen (Übernahme der Gerichtskosten, der Parteientschädigung der Gegenpartei und der Kosten für eine angemessene Rechtsvertretung des Privatkunden) in die Rechte des Kunden eintreten. Die Bestimmungen über den Prozesskostenfonds dürften – mehr noch als die flächendeckende Einführung einer Ombudsstelle oder die Etablierung von Branchenschiedsgerichten – zu Diskussionen Anlass geben, da nicht einsehbar erscheint, warum gerade mit Bezug auf die Finanzindustrie von den bewährten zivilprozessualen Grundsätzen abgewichen werden soll. Sodann erscheint die FIDLEG-Vorlage auch hier in einigen Punkten noch konkretisierungsbedürftig.

 

  • Einführung eines Verbandsklagerechts: Damit sollen Konsumentenschutzorganisationen gerichtlich beantragen können, dass Finanzdienstleistern eine drohende Pflichtverletzung untersagt wird, dass diese eine bestehende Pflichtverletzung beseitigen müssen oder dass eine Pflichtverletzung festgestellt wird.

 

  • Gruppenvergleichsverfahren: Dadurch soll eine „kollektive und repräsentative Geltendmachung von gleichen oder gleichartigen finanziellen Ansprüchen für eine Vielzahl von nicht direkt am Verfahren beteiligten Personen“ ermöglicht werden (Erläuterungsbericht, S. 21). Das Verfahren zielt auf einen Vergleich ab, zwischen einem Verband, einem Verein oder einer Organisation, welche(r) die Interessen von Privatkunden / Konsumenten vertritt, und dem betroffenen Finanzdienstleister und ist somit nicht mit Gruppen- oder Sammelklagen zu verwechseln. Der Vergleich muss gerichtlich genehmigt werden und wird für alle betroffenen Kunden verbindlich, die sich nicht innert einer dafür angesetzten Frist dagegen ausgesprochen haben.

 

3. FINIG

Gemäss dessen Art. 1 legt das FINIG die „Anforderungen und die Tätigkeiten als Finanzinstitut“ fest. Mit dem neuen Gesetz sollen sektorenübergreifend die Bewilligungsvoraussetzungen und weiteren organisatorischen Anforderungen für Finanzinstitute geregelt werden.

Die Vernehmlassungsvorlage hält am heute schon geltenden Bewilligungskaskadensystem fest, wonach strengere Bewilligungen weniger weitgehende Bewilligungen miteinschliessen (Art. 5 VV-FINIG). Personen, die ausschliesslich Anlageberatung betreiben, scheinen vom Finanzinstitutsbegriff gemäss Art. 2 (1) VV-FINIG nicht erfasst, ebenso wenig Vertriebsträger von Kollektivanlagen, welche gemäss heutigem Kollektivanlagengesetz („KAG“) bewilligungspflichtig sind. Demgegenüber müssen sich Verwalter von Kollektivanlagen, welche heute nicht bewilligungspflichtig sind, weil sie weniger als CHF 100 Mio. (CHF 500 Mio. bei geschlossenen Anlagen) Kollektivanlagenvermögen verwalten und deren Kollektivanlagen nur qualifizierten Anlegern gemäss KAG offen stehen, darauf einstellen, dass sie mit Inkrafttreten des FINIG einer Bewilligungspflicht als „Vermögensverwalter“ unterstehen werden.

Eine ganz wesentliche Neuerung der FINIG-Vorlage besteht nämlich darin, dass bisher nicht prudentiell beaufsichtigte Vermögensverwalter inskünftig ebenfalls überwacht werden sollen. Die Aufsicht soll entweder von der FINMA oder von einer neu zu schaffenden „Aufsichtsorganisation“ wahrgenommen werden (Art. 82 VV-FINIG). Die Aufsichtsorganisation wäre eine „gesteuerte halbstaatliche“ Behörde (Erläuterungsbericht, S. 23), womit das heute für Vermögensverwalter geltende Prinzip der Selbstregulierung wohl in abgeschwächter Form beibehalten werden würde.

Als Vermögensverwalter gilt eine Person, die „gestützt auf einen Auftrag gewerbsmässig im Namen und für Rechnung der Kundinnen und Kunden Vermögenswerte verwaltet oder auf andere Weise über Vermögenswerte von Kundinnen und Kunden verfügen kann“ (Art. 17 (1) VV-FINIG).

Die Vorlage differenziert zwischen normalen und qualifizierten Vermögensverwaltern. Letztere verwalten Kollektivanlagen und sind gemäss Kollektivanlagengesetz („KAG“) bewilligungspflichtig oder verwalten Vermögenswerte von schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen (vgl. dazu unsere Posts „Zur Revision des Kollektivanlagengesetzes“ sowie „OAK BV erlässt Weisung über Zulassung von Vermögensverwaltern in der beruflichen Vorsorge“).

Nach dem Willen des Bundesrates sollen die Vermögensverwalter (wie alle im FINIG definierten „Finanzinstitute“) die allgemeinen Bewilligungsvoraussetzungen gemäss Art. 6 ff. VV-FINIG erfüllen. Sie müssen also bspw. über eine angemessene Organisation verfügen und ihre Risiken beherrschen. Sodann müssen die mit der Verwaltung und Geschäftsleitung betrauten Personen die Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung bieten sowie über einen guten Ruf und die erforderlichen fachlichen Qualifikationen verfügen. Die am Finanzinstitut qualifiziert Beteiligten (10% oder mehr des Kapitals oder der Stimmen) müssen ebenfalls über einen guten Ruf verfügen und ihr Einfluss darf sich nicht zum Schaden einer umsichtigen und soliden Geschäftstätigkeit auswirken. Sodann müssen vom Bundesrat festzulegende „angemessene finanzielle Garantien“ vorliegen (d.h. genügend Eigenmittel vorhanden sein); alternativ kann auch eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen werden. Qualifizierte Vermögensverwalter müssen sodann als Handelsgesellschaften organisiert sein, über ein bestimmtes Mindestkapital verfügen und (nicht näher definierte) Eigenmittel nachweisen (Art. 21 ff. VV-FINIG).

Die konkreten Bewilligungserfordernisse ergeben sich für bereits regulierte Finanzinstitute aus den heute geltenden Gesetzen (BankG, BEHG, KAG) sowie deren Verordnungen. Die FINIG-Vorlage hält die künftigen Bewilligungsvoraussetzungen für Vermögensverwalter demgegenüber nur rudimentär fest. Es ist daher davon auszugehen, dass der Bundesrat von verschiedenen Vernehmlassungsteilnehmern dazu aufgefordert werden wird, die Vorlage vor deren Übermittlung an die Räte so anzupassen, dass diese Voraussetzungen bereits auf Gesetzes- und nicht erst auf Verordnungsstufe konkretisiert werden.

Art. 11 VV-FINIG verlangt, dass Finanzinstitute „bei der Annahme von Vermögenswerten“ prüfen, „ob ein erhöhtes Risiko besteht, dass diese in Verletzung der Steuerpflicht unversteuert sind oder nicht versteuert werden.“ Falls Anhaltspunkte vorliegen, dass Vermögen unversteuert sind oder nicht versteuert werden, soll die Geschäftsbeziehung nicht aufgenommen werden dürfen bzw. die Kundenbeziehung aufgelöst werden, es sei denn der Kunde beweise das Gegenteil oder die Auflösung habe für den Kunden „unzumutbare Nachteile“ zur Folge. Damit soll der vom Bundesrat festgelegten „Weissgeldstrategie“ zum Durchbruch verholfen werden, was wohl nicht unwidersprochen bleiben wird.

Die Vorlage enthält folgende Übergangsbestimmungen: Bereits bewilligte Institute benötigen keine neue Bewilligung und müssen die neuen Anforderungen des FINIG innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten umgesetzt haben. Neu zu beaufsichtigende Finanzinstitute (Vermögensverwalter) müssen sich innerhalb von 6 Monaten seit Inkrafttreten des Gesetzes bei der dann zuständigen Aufsichtsbehörde melden und innerhalb von längstens 2 Jahren seit Inkrafttreten eine Bewilligung einholen. Damit wird der bei der KAG-Revision verfolgte Ansatz umgesetzt. Ausserdem müssen Vermögensverwalter, die bei Inkrafttreten des Gesetzes ihre Tätigkeit seit mindestens 15 Jahren ausüben, keine Bewilligung einholen, falls sie keine neuen Kunden annehmen. Die Fragen, wie die Kontinuität der 15-jährigen Tätigkeit nachzuweisen sein wird und wer als neuer Kunde gilt (Erben?), werden zu reden geben.

4. Fahrplan

Die Vernehmlassung dauert bis zum 17. Oktober 2014. Danach wird der Bundesrat die Gesetzesentwürfe ausarbeiten und wohl 2015 ins Parlament bringen. Die Dauer der parlamentarischen Beratungen ist derzeit nicht absehbar. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.

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