Der Bundesrat will mit der geplanten Totalrevision des Bundesrechts über das öffentliche Beschaffungswesen die Regelungen von Bund und Kantonen harmonisieren sowie die Transparenz der Vergabeverfahren stärken. Diese Ziele mag die Revision weitgehend erreichen. Falls der vorgestellte Gesetzesentwurf durch das Parlament nicht mehr korrigiert wird, drohen jedoch schwerwiegende Konsequenzen für den Rechtsschutz der betroffenen Anbieter.
Bedeutung des öffentlichen Beschaffungswesens
Die öffentliche Hand benötigt für ihre Aufgabenerfüllung Sachmittel und Leistungen, die sie bei privaten Anbietern bezieht und einkauft. Die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Beschaffungen ist beachtlich. Das jährliche Beschaffungsvolumen von Bund, Kantonen und Gemeinden wird auf rund CHF 41 Mrd. geschätzt (davon rund 20 Prozent Bund sowie 80 Prozent Kantone und Gemeinden).
Stossrichtung und Mängel des Entwurfs
Der Bundesrat hat vor kurzem den Entwurf für eine Totalrevision des öffentlichen Beschaffungsrechts vorgestellt. Die Revision soll zum einen Änderungen des übergeordneten WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) in das nationale Recht überführen und zum anderen eine Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen herbeiführen. Der Gesetzesentwurf sieht darüber hinaus aber auch eine Beschneidung der Parteirechte vor. Dazu gehört etwa die Aushebelung des Öffentlichkeitsprinzips, worüber in der Presse schon zu lesen war. Aber auch der Rechtsschutz soll eine Einschränkung erfahren (siehe unten).
Wichtigste materielle Änderungen
Die geltenden Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen weisen heute erhebliche Unterschiede auf. Differenzen finden sich etwa in folgenden Bereichen: Geltungsbereich, Schwellenwerte, Anforderungen an die Ausschreibung, Auswahlkriterien, Preisverhandlungen, Offertöffnung, Ausschluss von laufenden und künftigen Verfahren, Berücksichtigung vergabefremder (z.B. sozialpolitisch motivierter) Kriterien, Begründung der Zuschläge und Rechtsschutz. In diesen Bereichen soll mit der geplanten Revision eine Angleichung der Regelungen für Bund und Kantone vorgenommen werden.
Angleichung der Schwellenwerte
Die Schwellenwerte sind massgeblich für die Wahl des Vergabeverfahrens: Öffentliche Aufträge, die den Schwellenwert erreichen, sind grundsätzlich öffentlich auszuschreiben.
Diese Schwellenwerte waren bisher auf Bundesebene und kantonaler Ebene uneinheitlich. Neu sollen diese Beträge im Nicht-Staatsvertragsbereich bei Bund und Kantonen angeglichen werden: Das offene Vergabeverfahren ist für Lieferungen und Dienstleistungen auf Bundesebene ab CHF 230‘000 und auf kantonaler Ebene ab CHF 250‘000 vorgeschrieben. Für Bauleistungen ist die öffentliche Ausschreibung beim Bund ab CHF 2 Mio. und in den Kantonen ab CHF 500‘000 (Bauhauptgewerbe) vorgesehen. Im Staatsvertragsbereich ist eine analoge Anpassung nicht möglich, da die Schwellenwerte auf internationaler Ebene (GPA) festgelegt sind.
Verzicht auf reine Abgebotsrunden
Abgebotsrunden sind Verhandlungen mit dem einzigen Zweck, den Angebotspreis zu senken. Das aktuelle Bundesrecht lässt solche reinen Preisverhandlungen ohne Einschränkungen zu. Nach interkantonalem Recht sind Abgebotsrunden hingegen verboten. Dieses Verbot ist durch die Befürchtung motiviert, dass Anbieter im Hinblick auf Preisverhandlungen Margen in ihre Angebote einbauen, die sie später (vielleicht) wieder preisgeben. Um solche Vorgehensweisen zu verhindern, sieht der Gesetzesentwurf nun auch auf Bundesebene einen generellen Verzicht auf Abgebotsrunden vor.
Problematische Neuerungen beim Rechtsschutz
Ein funktionierender Rechtsschutz ist für einen Anbieter, der in einem Vergabeverfahren unterlegen ist und befürchtet, dass der Zuschlag gegen die Regeln des Beschaffungsrechts ergangen ist, absolut entscheidend. Der Bundesrat erkennt die Wichtigkeit und hält in seiner Botschaft zur Totalrevision des Beschaffungsrechts fest, er wolle den Rechtsschutz „massvoll“ ausbauen. Der Gesetzesentwurf enthält zunächst moderate Verbesserungen. So sollen künftig auch Verfügungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs mit Beschwerde anfechtbar sein, was heute im Bund nicht möglich ist.
Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass der Entwurf hinter den Erwartungen an „zügige, wirksame, transparente und nichtdiskriminierende Überprüfungsverfahren“, wie es das GPA verlangt, zurückbleibt. Für Beschaffungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs soll künftig nur der sogenannte Sekundärrechtsschutz gewährt werden. Das bedeutet, dass ein Anbieter, der mit seiner Beschwerde durchdringt, nicht mehr die Aufhebung der angefochtenen Zuschlagsverfügung erreichen, sondern nur Schadenersatz verlangen kann. Demgegenüber zielt der sogenannte Primärrechtsschutz darauf ab, die angefochtene Zuschlagsverfügung durch gerichtlichen Entscheid aufheben zu lassen. Der Primärrechtsschutz müsste aber auch ausserhalb des Staatsvertragsbereichs gelten, damit ein wirksamer Rechtsschutz gewährleistet ist. Ziel eines Rechtsmittelverfahrens ist für den Anbieter die Aufhebung des Zuschlags und hiernach die Berücksichtigung seines Angebots. Schadenersatzzahlungen sind hingegen unattraktiv, zumal diese betragsmässig nicht dem Auftragswert, sondern bloss den Kosten des Offert- und Rechtsmittelverfahrens entsprechen.
Problematisch ist auch die vorgeschlagene Regelung zur aufschiebenden Wirkung. Für den Verlauf des Rechtsmittelverfahrens ist die Erteilung der aufschiebenden Wirkung absolut entscheidend. Nach geltendem Recht hat eine Submissionsbeschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Dies soll sich für Aufträge im Staatsvertragsbereich auch künftig nicht ändern (ausserhalb des Staatsvertragsbereichs stellt sich die Frage der aufschiebenden Wirkung aufgrund des Sekundärrechtsschutzes gar nicht erst). Wird also die aufschiebende Wirkung nicht beantragt oder vom Gericht nicht antragsgemäss gewährt, darf die Vergabestelle den Vertrag mit der Zuschlagsempfängerin schon vor Abschluss eines allfälligen Beschwerdeverfahrens abschliessen. Selbst bei einer allfälligen Gutheissung der Beschwerde kann das Gericht bei einem bereits geschlossenen Vertrag nur noch die Rechtswidrigkeit des Zuschlags feststellen, was höchstens Schadenersatzansprüche auslöst (und dem Sekundärrechtsschutz gleichkommt). Neu soll im Gesetz zudem festgeschrieben werden, dass zur Frage der aufschiebenden Wirkung nur noch ein einziger Schriftenwechsel stattfindet. Das würde im Resultat dazu führen, dass ein unterlegener Anbieter schon mit seiner (ersten) Beschwerdeschrift bereits abschliessend darlegen muss, weshalb seine Beschwerde ausreichend begründet und nicht aussichtslos ist. Gelingt ihm dies nicht, wird die aufschiebende Wirkung nicht erteilt. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung hat der unterlegene Anbieter in der Regel jedoch noch gar keine Akteneinsicht nehmen können. Er müsste also sein Gesuch um aufschiebende Wirkung begründen, ohne die (vollständigen) Verfahrensakten zu kennen. Ein wirksamer Rechtsschutz ist so nicht möglich; die vorgeschlagene Änderung ist rechtsstaatlich bedenklich.
Im Ergebnis führen die vorgeschlagenen Änderungen nicht zu einem „massvollen“ Ausbau des Rechtsschutzes im Bereich des öffentlichen Beschaffungsrechts, vielmehr werden sie ihn weiter abschwächen. Im Interesse der Rechtssuchenden sollte das Parlament die dargestellten Mängel korrigieren.
Gerne stehen wir bei allen Fragen zum öffentlichen Beschaffungsrecht zur Verfügung.