Das Bundesgericht bestätigte im Urteil 4A_83/2016 vom 22. September 2016 den Entscheid der Vorinstanz, worin diese einer Tessiner Bank verbot, im Rahmen des US Steuerprogramms Daten von zwei Anwälten und einer Anwalts-AG an die US-Behörden zu übermitteln.

1. Sachverhalt und Prozessgeschichte

Die Beschwerdeführerin, eine im Tessin domizilierte Schweizer Bank, nahm am “Program for non-prosecution agreements and non-target letters for Swiss banks (“US Programm”) der US-Steuerbehörde und des US-Justizministeriums (“DoJ”) in der Kategorie 2 teil. Im Bestreben um den Abschluss eines Non-Prosecution-Agreements (“NPA”) beabsichtigte die Bank die Übermittlung von Daten über sieben Konten verschiedener panamaischer Stiftungen, deren jeweiliger wirtschaftlich Berechtigter ein amerikanischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in den USA war. Die beabsichtigte Datenlieferung an die USA umfasste auch Daten von zwei Anwälten und einer Anwalts-AG, welche über Vollmachten betreffend die Konti verfügt hatten. Um sich durch die Lieferung der geforderten Daten an die US-Behörden nicht wegen verbotener Handlungen für einen fremden Staat im Sinne von Art. 271 Ziff. 1 StGB strafbar zu machen, erhielt die Beschwerdeführerin – wie auch andere Banken – vom Bundesrat am 29. November 2013 eine zeitlich bis zum 31. Dezember 2015 befristete Bewilligung zur Datenlieferung. Am 10. Dezember 2015 gelang es der Bank, mit dem DoJ das angestrebte NPA abzuschliessen.

Gegen die Datenherausgabe erhoben die betroffenen Anwälte und die Anwalts-AG (die Kläger) Widerspruch. Mit Urteil vom 16. Dezember 2015 untersagte das Handelsgericht des Kantons Zürich der Bank, den US-Behörden irgendwelche Daten betreffend die Kläger herauszugeben.

Gegen diesen Entscheid erhob die Bank Beschwerde beim Bundesgericht.

2. Entscheid

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab.

Es sei unbestritten, dass es sich bei den fraglichen Informationen um Personendaten im Sinne des Datenschutzgesetzes (“DSG”) handle, welche nicht ins Ausland übermittelt werden dürfen, wenn es dort an einer angemessenen Datenschutzgesetzgebung fehle. Nach den Feststellungen des Handelsgerichts würden die Parteien darin übereinstimmen, dass die USA nicht über einen angemessenen Datenschutz im Sinn von Art. 6 Abs. 1 DSG verfügen, weshalb die beabsichtigte Datenherausgabe grundsätzlich eine Persönlichkeitsverletzung darstelle (E. 3.1.).

Gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. d DSG sei die Herausgabe aber u.a. zulässig, wenn “die Bekanntgabe im Einzelfall entweder für die Wahrung eines überwiegenden öffentlichen Interesses oder für die Feststellung, Ausübung oder Durchsetzung von Rechtsansprüchen vor Gericht unerlässlich ist” (E. 3.2.).

Die Vorinstanz hatte zwei öffentliche Interessen als gegeben angenommen: Zunächst jenes an der Beilegung des Steuerstreits ohne weitere Strafverfahren oder Anklagen gegen Schweizer Banken und an der Vermeidung einer weiteren Eskalation; dann aber auch jenes, dass das auf der Grundlage des Joint Statement erstellte US Programm eingehalten werde, namentlich im Hinblick auf die Reputation der Schweiz als Verhandlungspartnerin. Die Vorinstanz ging hinsichtlich beider öffentlicher Interessen davon aus, die Datenherausgabe sei zu deren Wahrung nicht unerlässlich und berücksichtigte beide entsprechend in der Interessenabwägung nicht. Zur Begründung führte die Vorinstanz an, der Bundesrat habe es nicht als unerlässlich erachtet, dass sämtliche betroffenen Banken durch Bekanntgabe aller verlangter Daten am US Programm teilnehmen, und auch dem DoJ sei bewusst gewesen, dass aufgrund eines gerichtlichen Verbots im Einzelfall eine Datenherausgabe nicht möglich sein würde (E. 3.3.1.).

Die Bank rügte in der Beschwerde, diese Auffassung führe dazu, dass keine Einzelfallprüfung der betroffenen Interessen stattfinde, weil die Datenlieferung damit ganz grundsätzlich nicht unerlässlich sei (E. 3.3.2.).

Auch wenn das Bundesgericht die Beschwerde der Bank abwies, folgte es der Argumentation der Vorinstanz nur teilweise: “Unerlässlich” im Sinne des DSG sei die Datenlieferung dann, wenn ohne sie davon auszugehen wäre, dass der Steuerstreit mit den USA erneut eskaliere. Die Vorinstanz habe die grundlegende Problematik in der vorliegenden Streitigkeit insofern übergangen, als zwar ein Einzelfall im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. d DSG zu beurteilen sei, aber im Hinblick auf die zu wahrenden öffentlichen Interessen in vielen Fällen ein paralleles Verhalten gefordert werde. Darum gehe es der Bank, wenn sie rüge, dass die Begründung der Vorinstanz bewirken würde, dass die Datenlieferung grundsätzlich nicht unerlässlich sei, da sie im Einzelfall nie unerlässlich sei (E. 3.3.4.).

Die entscheidende Frage sei demnach, ob nach DSG die “Unerlässlichkeit” abstrakt zu beurteilen sei, oder ob es auf die konkrete Situation ankomme. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es das DSG zulasse, dass Veränderungen der tatsächlichen Situation materiell-rechtlich zu berücksichtigen sind und gegebenenfalls zu einer anderen Beurteilung der “Unerlässlichkeit” führen. Es würde dem Zweck des DSG, dem Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen, widersprechen, wenn die veränderte Situation generell unberücksichtigt bliebe und im Einzelfall die Datenherausgabe erlaubt würde, obwohl diese im Hinblick auf die benannten öffentlichen Interessen im Urteilszeitpunkt nicht mehr unerlässlich sei. Die Bank habe in ihrer Beschwerde nicht hinreichend aufzeigen können, inwiefern die Vorinstanz mit der Annahme, die strittige Datenherausgabe sei nicht unerlässlich zur Vermeidung einer erneuten Eskalation des Steuerstreits, schweizerisches Recht verletze (E. 3.3.4.).

Schliesslich stand noch die Frage im Raum, ob das private Interesse der Bank an ihrem Fortbestand als öffentliches Interesse gewertet werden müsse, weil die Gefährdung der Bank infolge einer möglichen Sanktionierung durch die USA die Teilnahme anderer Banken an solchen Programmen mangels Rechtssicherheit unattraktiv machen würde und dadurch wiederum der Finanzplatz Schweiz gefährdet wäre. Das Bundesgericht konnte die Frage allerdings offen lassen, weil nicht erstellt war, dass die unterlassene Datenherausgabe tatsächlich eine Anklage und Verurteilung der Bank durch die US-Behörden zur Folge gehabt hätte (E. 3.4.3.).

Das Bundesgericht gelangte im Sinne dieser Erwägungen zum Schluss, dass die Vorinstanz die Herausgabe der Daten zu Recht verboten habe.

3. Kurzbeurteilung

Das Bundesgericht folgt im Ergebnis, aber nicht in der Begründung, dem Entscheid des Zürcher Handelsgerichts. Das Bundesgericht kritisiert insbesondere die Argumentation des Handelsgerichts, dass eine einzelne Datenübermittlung zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr ausreiche, um die öffentlichen Interessen (Beilegung des Steuerstreits einerseits und Reputation der Schweiz als Verhandlungspartnerin andererseits) zu gefährden, weshalb die vorliegend beabsichtigte Datenübermittlung nicht “unerlässlich” sei. Eine solche isolierte Betrachtung des Einzelfalles würde zu einer Ungleichbehandlung der einzelnen Banken führen, weil die Frage der Unerlässlichkeit vom Zeitpunkt, respektive von der Anzahl Banken, welche im Urteilszeitpunkt bereits am US Programm teilgenommen haben, abhängen würde. Weiter habe die Argumentation der Vorinstanz zur Folge, dass jedes Verbot der Datenübermittlung zulässig wäre, weil eine einzelne unterbleibende Datenübermittlung nie ausreichen würde, um die genannten öffentlichen Interessen zu gefährden, was nicht Sinn und Zweck der Bestimmung sein könne.

Trotz dieser Kritik gelangt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Frage der Unerlässlichkeit nicht abstrakt, sondern konkret beurteilt werden müsse. Das Bundesgericht stellt sich auf den Standpunkt, dass es dem DSG widersprechen würde, wenn eine veränderte Situation generell unberücksichtigt bliebe und im Einzelfall die Datenherausgabe erlaubt würde, obwohl diese im Hinblick auf die öffentlichen Interessen im Urteilszeitpunkt nicht mehr unerlässlich sei.

Das Bundesgericht lässt somit Raum für künftige Entwicklungen. Sollte der Steuerstreit erwartungsgemäss nicht wieder eskalieren, werden sich Kunden, Vermögensverwalter, Anwälte und Treuhänder im Zusammenhang mit dem US Programm künftig in der Regel erfolgreich gegen die Bekanntgabe ihrer Daten in die USA wehren können. Sollte aber die Verweigerung der Datenübermittlung dazu führen, dass der Steuerstreit mit den USA wieder eskaliert oder sollten NPAs durch das DoJ widerrufen werden, könnte dies zu einer anderen Beurteilung führen. Es wird also beobachtet werden müssen, wie das DoJ auf die gerichtlichen Verbote der Datenübermittlung reagiert.

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